Fabrikglocke aus der Weberei H. & J. Huesker & Co. in Gescher, 1863, Gießerei Petit & Gebr. Edelbrock, Gescher (Gießer: Rudolf Edelbrock), Bronze, Westfälisches Glockenmuseums Gescher, Inv. Nr. 65/101 (Dauerleihgabe aus Privatbesitz)

© Stadt Gescher

Fabrikglocke im Westfälischen Glockenmuseum

Die Industrielle Revolution und die Arbeitszeit

Mit der Industriellen Revolution entstand das kulturelle Konstrukt der „Arbeitszeit“. In den Jahrhunderten zuvor waren Bauern und Handwerker weitgehend frei in der zeitlichen Einteilung ihrer Tätigkeiten gewesen. Die neu entstandene Arbeiterklasse verlor diese Autonomie hingegen. Die Abläufe in den Fabriken erforderten eine präzise Taktung. Die Arbeiter waren fortan an tägliche feste Arbeitszeiten und Werktage gebunden, die in der Regel überwacht und kontrolliert wurden. Das Nichtbeachten der Regeln wurde sanktioniert. Zu Beginn der Industrialisierung konnten diese Anforderungen Arbeiter, die oft einen weiten Weg zu Arbeitsstätte zurücklegen mussten, vor Herausforderungen stellen. Viele besaßen keine Uhr und öffentliche Signale zur Zeiteinteilung waren meist noch rar.

 

Neue Taktgeber

Die neue Taktung der Arbeitswelt in den Fabriken wurde durch Zeichen, üblicherweise das akustische Signal der Fabrikglocke, aber auch anderer Vorrichtungen wie etwa Dampfpfeifen, vorgegeben. Dieses Signal konnte so wirkmächtig sein, dass sich dagegen offener Widerstand erhob. Ein Beispiel bietet der Glarner Stoffdruckeraufstand, der erste Streik in der Geschichte der Schweiz, im Jahr 1837. Er entzündete sich an der Installation einer Fabrikglocke, die Beginn und Ende des Arbeitstages anzeigte, und deren Verfehlen mit Bußgeld geahndet wurde.

Fabrikglocken stammten aus dem Mutterland der Industrialisierung, aus England. In den Betrieben im Deutschen Reich fanden sie rasch Eingang. Dabei kam es auch vor, dass Glocken aus ursprünglich religiösem Kontext, z.B. Klöstern, als Fabrikglocken umfunktioniert wurden.

Die Fabrikglocke aus der Sammlung des Westfälischen Glockenmuseums Gescher wurde im Jahr 1863 von der Gießerei Petit & Gebr. Edelbrock durch Rudolf Edelbrock in Gescher gegossen. Sie war die Fabrikglocke der Weberei H. & J. Huesker & Co. am selben Ort. Sie trägt die Inschrift „CONCORDIA!“ (lat. Eintracht). Dies ist eine Anspielung auf Schillers „Lied von der Glocke“.

 

Literatur (Auswahl):

Eckhard Bolenz: Fabrikglocke, Online-Ressource: https://industriemuseum.lvr.de/de/sammlung/sammlung_entdecken/arbeit___lohn/fabrikglocke/fabrikglocke.html (abgerufen: 13.6.2023).

Eberhard Seifert: Industrielle Arbeitszeiten in Deutschland. Ein wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Abriß vom Beginn der Industrialisierung bis zum 2. Weltkrieg, Wuppertal 1982.

Bernhard Weidner: Sozialdisziplinierung in der Industrialisierung, Fabrikordnungen aus Nürnberg, Fürth und Augsburg, Hamburg 2015.

Emil Zopfi: Die Fabrikglocke, Zürich 1991.